Inspektionsreisen durch die Stilwelt

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Ist der König nackt?

von

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GREETINGS AN KONSTANTIN GRCIC Fällt ein Überraschungsei in eine dieser neuen Wunder-Scanner-3-D-Printer-Maschinen und die stösst plötzlich etwas aus, was noch niemand vorher sah – ein ins Riesige aufgeblasenes Kinder-Gimmick, eine Art Stuhl aus einem Comic-Abenteuer. Ist das lustig? Nein, das ist nicht lustig, denn diesen Stuhl gibt es tatsächlich („Rival“ von Konstantin Grcic bei Artek), eine Zitatcollage aus retro-amerikanischem Bürosessel (oben) rustikalem Wirtshausstuhl (unten) und lieblichem Toffifee-Mittelteil.

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Lieber Konstantin Grcic, wie kann so etwas sein? Was ist schiefgelaufen? Sie sind seit 20 Jahren die ganz grosse Designhoffnung Deutschlands, unser erster Superstar, der es aufnehmen kann mit all den (vielen) Italienern und Skandinaviern und (den etwas weniger vielen) Briten und Holländern und Spaniern, die uns vorleben, wie Design unser Leben verschönern kann. Sie fingen wunderbar an – unbekümmert, frech, witzig – und Ihnen sind über die Jahre ein paar phantastische Stücke gelungen. Anfangs lag das Verhältnis zwischen Ihren intelligent-innovativen Entwürfen und den leider wohl nur etwas schwer verständlichen bei 50:50. Inzwischen aber steigt diese Rätselhaft-Quote immer schneller an und ich wundere mich immer öfter: Eine fliegende-Teppich-Husse über ein Gestell oder dicke Corbusier-ähnliche Kissen in einen fragilen Draht-Rahmen zu legen, das soll Ironie sein, das willl die Designgeschichte interpretieren? Zu böse, die Frage? Gerade enttäuschte Hoffnungen tun ja immer besonders weh. Denn dieser neue Stuhl jetzt ist für mich ein Tiefpunkt, gerade weil er auch noch mit der Aura van Alvar Aalto und Artek spielen will. Er löst bei mir den Verdacht aus, daß Sie Aalto, den Meister des extrem schlank-eleganten Materialeinsatzes, entweder nicht begriffen haben (kann eigentlich nicht sein) oder glauben, ihn überwinden zu müssen (darf sein, aber sicher nicht so). Und haben Sie dann vielleicht auch noch Castiglioni falsch verstanden, der Sie einst als Nachwuchsdesigner ehrte? Auch er hat ja posiert mit seinen Dingen, vielleicht sogar auch ein bisschen selbstverliebt, aber bei seinen Foto-Posen war es immer so, daß er sich selbstironisch in den Dienst seiner Produktidee stellte. NIEMALS darf es, wenn man im ernsthaften Stil-Business unterwegs ist, umgekehrt sein… (vielleicht ehrlicherweise und genauer gesagt: niemals darf man sich dabei erwischen lassen). Das Tückische an Kreativität ist ja, dass man sich nicht nur das Positive herausschneiden kann. Man darf nicht zuviel Respekt vor der Vergangenheit haben, zuwenig aber auch nicht. Es gehören Zweifel dazu, Durststrecken, Phasen der Ratlosigkeit, des Ausprobierens und wieder Neuanfangens. Und das vielleicht schwerste: Wenn man gesucht und dann nichts (also: nichts Neues oder Relevantes ) gefunden hat, dann muss man seine Suchbemühungen in die Schublade tun (vielleicht kann man etwas davon ja später nochmal brauchen, z.B. für eine Ausstellung) – und dann muss man weitersuchen. Alles ganz normal. Was man leider nicht darf: die auch noch so fleissigen Suchschritte als Ergebnis verkaufen. Insofern scheint mir jetzt nicht nur der Stuhl, sondern auch Ihr Werbe-Selfie-Foto eine eher traurige Momentaufnahme: Stuhl morgen vergessen – aber Super-Posing, Superanzug! Da müssen jetzt wohl sogar die Italiener neidisch werden: so lässig können die Deutschen sein?

Nachdenkliche Grüsse sendet ROLF

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