Inspektionsreisen durch die Stilwelt

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Kaffee zum Gehen

von

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GREETINGS VOM CAFÈ KRANZLER Neues Wort gelernt: Westalgie. Stammt aus Berlin, würde aber auch in ganz Westdeutschland funktionieren, denn es beschreibt das Phänomen, dass mit dem Fall der Mauer nicht nur, wie erwartet, Ostberlin und die DDR untergingen, sondern auch das westliche Pedant. Es war gar nicht so neutral und ewiglich wie es schien, viel fragiler als gedacht, und bekommt wie alles, was verschwindet, nun aber nostalgisch-verklärten Glanz. Für alle, die darauf aus sind, hier eine dringende Location-Warnung. Das Café Kranzler war mal DAS Westberliner Café am Kudamm, sein Wirtschaftwunder-Feeling war  gerade durch seine Tanten- und Touristen-Gemütlichkeit ziemlich authentisch, nicht mal die vorbeiziehenden 68er-Demos, die hier als Vietnamprotest nach einer Günter Grass-Idee einen Dackel anzünden wollten, konnten das zerstören.

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Vorbei und weg, wie die Mauer. Als alle nach Mitte wollten, zog ein Gerry Weber-Textilladen in die Kaffeéräume und liess nur noch die denkmalgeschützt Rotunde mit der rotweiss-Markise offen, auch der Jeans-Mietnachfolger Superdry hält das so – weshalb man zwischen all den Streetwear-Lässigkeiten jetzt den Eingang und die Marmorwendeltreppe kaum findet, sich dann aber staunend in eine nochmal ganz neue Stimmung hochdreht. Alles anders und durchaus reizvoll. Viel Holz im E 15-Look, selbst die runde Dachkonstruktion, die von aussen immer aussah wie eine 50ies-Tortenschachtel, wirkt jetzt ohne Verkleidung eher wie eine Stadelhaube aus den Bergen; Stilvorgabe: handwerklich authentisch.

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Was ich für ein Kaffee-Typ bin, fragt mich die Bedienung am Tresen und schlägt mir nussig-fruchtig vor. Ein Fehldiagnose, zumindest für mich. Wenn auch eine konsequente. Denn das Kranzler wurde von der Hipster-Marke „The Barn“ übernommen, die sich der „Third Wave“-Kaffeephilophie verschrieben hat; die braunen Bohnen werden achtsam behandelt als wären sie kostbarer Wein aus individuellen Lagen, jede Bestellung einzeln von Hand in eine laborartige Kanne gefiltert. Ehrenwert, aber es bringt mich in ein Dilemma: die junge Location, erst recht die neue Dachterrasse, gefällt mir – aber der Kaffee! Schmeckt wie früher, als im Filter die Papiertüte umknickte und das Wasser  vorbeilief – viel zu dünn. Und für mich: to go, sorry. An der nächsten Ecke wartet tantenhaft-touristisch Starbucks – das Kranzler meiner Generation.

Voller Kaffee-Vorfreude grüsst ROLF

 

 

 

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