GREETINGS AUS DER HAMBURGER CITY „Schläfst Du, meine Schöne?“ Das hat nicht Heinrich Heine, sondern Helmut Schmidt mal seine Heimatstadt Hamburg gefragt. Ziemlich poetisch für den Mann, der ja dadurch populär wurde, daß er eben nicht lange fragte, sondern einfach Nato-Hubschrauber anforderte, als eine Sturmflut Hamburg bedrohte. Zum Dank hat Helmut Schmidt, wenn er nicht auch noch von Verlags-Optimierern entlassen wird, heute ein flutsicheres Innenstadtbüro bei der ZEIT. Woher aber nun der Satz „Hamburg ist die schönste Stadt der Welt“ stammt, lässt sich leider selbst mit einem Flatrate-Zugang zum „Zeit“-Archiv nicht mehr sicher feststellen; die schlüssigste These ist, dass dies der Projektname im Springer Verlag war, gleichzeitig sein provinzielles „Hamburger Abendblatt“ einem Essener Verleger und der Stadt Hamburg sein muffiges zentral gelegenes Verlagsstammhaus anzudrehen. Ein Doppel-Coup, für den ihn andere Hamburger Verlagsmanager heimlich bewundern.
Aber unser Thema ist heute mal nicht die Medienkrise, sondern die Hamburger Innenstadt. Ja, es gibt eine Hamburger Innenstadt. Deren grösste Gefahr war bis vor einigen Jahren, beim abendlichen Spaziergang durch sie einzuschlafen – und nur Kreuzfahrt- und Musicaltouristen haben sie vor der völligen Austrocknung durch ewige Langeweile gerettet. Das führt nun zu einem interessanten Phänomen. Weil die Plätze für Flagshipstores und Luxus-Showrooms zwischen Alster und Elbe knapp werden, entdecken Immobilienentwickler, was die Stadt vergessen hatte: Sowohl „Neuer Wall“ wie „Grosse Bleichen“, beides die nobelsten Luxus-Shoppingstrassen der City, haben Rückseiten zum Wasser hin, die eigentlich viel attraktiver sind als ihre bisherigen Schauseiten. Oder zumindest attraktiver sein könnten.
Ursprünglich gab es mal fast 30 solcher Wasserkanäle (Fleete heissen sie in Hamburg), bis auf zwei grosse wurden die meisten aber zugeschüttet und nur noch ein einziger blieb übrig, der Alster und Elbe über Schleusen auch tatsächlich verbindet. Alle anderen sind nur noch Reststücke, wasserführende Sackgassen sozusagen; ein Gefühl für die Stadtzusammenhänge bekommt man fast nirgendwo mehr und manche wasserseitigen Hausfassaden, vor allem von Büros, wirken erschreckend banal und abweisend: Die Leute sollen arbeiten, und nicht aufs Wasser gucken (absoluter Tiefpunkt: der Herrengraben)! Frühere Versuche, am Wasser entlang eine innerstädtische touristische „Perlenkette“ zu knüpfen, waren immer auf halber Strecke steckengeblieben, hochgestelzte und ins Wasser gerammte Fußgängerbrücken begannen einladend und endeten plötzlich an Notausgängen und Müllcontainern.
Jetzt aber wird mit Millionenaufwand an gleich mehreren Stellen versucht, die lieblosen Rückseiten zum Wasser hin wieder attraktiver zu machen. Neben dem Nicolaiquartier östlich des Rathauses und dem Gerkan-Umwandlungs-Vorhaben „Alter Wall“ (Bild oben) ist das überraschendste der Stadtbelebungsprojekte die „Kaiserpassage“. Früher durch das Ohnsorgtheater belegt, konnte hier jetzt der Einrichter Gärtner bis fast ans Wasser expandieren (und stiehlt nun dem hafennahen „Stilwerk“ an Klasse ziemllich die Schau). Höhe- und Endpunkt soll dann ein Riesenblock sein, der heute noch „Stadthaus“ und später, Passagen-durchlöchert, „Stadthöfe“ heissen wird. Ein bisschen durcheinandergekommen scheint hier vielleicht, daß die Bauzäune mit französischem Flair werben, die Architektur der Erweiterungen aber eher die italisierende Bogen-Optik zitieren will. Frankreich, Italien, egal – Hauptsache: Luxus.
Ein Stück davon habe ich gestern Abend schon probiert, auf der Terrasse des neuen Restaurants „Atelier F“. Zum Fleet hin sitzt man sehr nett, allenfalls zieht es ein bisschen (wir sind in Hamburg). Ich machte nur den Fehler, hier einen Hamburger zu bestellen. Tun Sie’s nicht, wenn Sie ein Mann sind. Sie bekommen den kleinsten Hamburger der Welt, eher ein Luxemburgerli aus Fleisch. Egal, Kleinigkeiten. Hamburgs City entdeckt ein Leben nach 18.30 Uhr!
Hungrig nach mehr grüsst ROLF